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Heterogenität multiperspektivisch reflektiert - eine interdisziplinäre Tagung an der PH Tirol

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Heterogenität verweist auf Verschiedenartigkeit bzw. Ungleichartigkeit von Merkmalen (Faulstich-Wieland, 2011, S. 10) und umfasst eine Bündelung gemeinsamer, jedoch unterschiedlich ausgeprägter Merkmale, die je nach Zeit und Raum veränderbar sind (Trautmann & Wischer, 2011). Heterogenität bezieht sich auf die Beschreibung einer Charakteristik von Gruppen, die besagt, dass ihre Mitglieder verschieden sind (Lang-Wojtasik & Schieferdecker, 2016). Sie bezieht sich auf Unterschiede zwischen Menschen (oder Gruppen), die in Relation zu einer oder mehreren Vergleichsmerkmalen existieren (tertium comparationis, Prengel, 1995). Entlang dieser Vergleichsmerkmale können nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten zwischen Menschen (oder Gruppen) beschrieben werden (Schür, 2013). Das Heranziehen spezifischer Merkmale zur Orientierung geht dabei u.a. mit der subjektiven Auswahl der wahrnehmenden Person einher (z.B. von Glasersfeld, 1995). Das ‚Erkennen‘ von Verschiedenheit resultiert aus einer spezifischen Wahrnehmung von Differenz (oder Gleichheit), die eine Person vor dem Hintergrund aller Wahrnehmungsoptionen vornimmt (ebd.) und macht Heterogenität zur ‚Unterschiedlichkeit‘, die durch Wahrnehmung im Augenblick geschaffen wird. Heterogenität unterliegt demnach (auch) einem Herstellungscharakter, der die Festlegung von Normalität und Abweichung impliziert (Riegel, 2016) und mit hierarchischer Strukturierung einhergeht (Rieger-Ladich, 2017).


Im pädagogischen Handlungsfeld gilt es herauszufinden, welche Funktion die Zuschreibung jeweils erfüllt (Rabenstein, 2019) und als welche Setzung sie vor dem Hintergrund von Machtverhältnissen zu verstehen ist (Eckhart, 2009). Je nach Forschungs- bzw. Erkenntnisperspektive liegt der Fokus (der Wahrnehmung von) Unterschiedlichkeits- bzw. Vergleichsmerkmalen auf  unterschiedlichen Merkmalsausprägungen. Die Orientierung an solchen Merkmalen dient der Komplexitätsreduktion in komplexen Situationen mit komplexen Individuen.


Organisationstheoretische Ansätze nehmen Heterogenität im Konzept des Diversity Management in den Blick (Krell et al., 2007), pädagogisch-didaktische Perspektiven fokussieren Merkmale bezogen auf Leistungsfähigkeit (Bohl, 2017), biologische Faktoren, z.B. Alter (Guiora et al., 1975), kognitive Fähigkeiten, z.B. Arbeitsgedächtniskapazität (Baddeley, 2010), persönlichkeitskonstituierende (z.B. Dewaele & Furnham, 1999) und affektive Variablen (z.B. Gardner & MacIntyre, 1993) oder soziokulturelle Hintergründe (Budde, 2017) – u.a. mit dem Ziel der Konzeption angemessener, heterogenitätssensitiver  Lehrlernarrangements. Zu berücksichtigen ist dabei auch stets die Prozesshaftigkeit von Heterogenität – Differenzkategorien und ihre Bewertung verändern sich in dem beobachteten Bereich sowie mit der Zeit (Prengel, 2006).


Vor dem Hintergrund der Vielfältigkeit und Komplexität der Verwobenheit unterschiedlicher Differenzmerkmale (u.a. Kraay, 2016; Sheridan et al., 2012) verlangen aktuelle Ansätze nach einer erweiterten Sichtweise auf individuelle (Lerner-)Variablen und ihre Zusammenhänge mit sozialen sowie institutionellen Faktoren (z.B. Kersten, 2021). Solche Ansätze begreifen Lernende im Kontext von Bildung als komplexe dynamische Systeme (z.B. Ortega & Han, 2017), die wiederum in einem komplexen dynamischen System lernen und gelehrt werden. Erst diese multiperspektivische Reflexion von Heterogenität ermöglicht eine annähernd ganzheitliche Sichtweise, die nicht nur Lernende, sondern auch Lehrende (Wischer, 2007; Mayr, 2015) und das System ‚Bildung‘ selbst als heterogen in den Blick nimmt und die durch variierende Fragestellungen sowie unterschiedliche Wahrnehmung und situativ beeinflusst konstruiert wird (u. a. Budde, 2017; Wischer, 2013 ).

 

Die Tagung möchte dazu einladen, Heterogenität interdisziplinär und multiperspektivisch reflektiert wahrzunehmen (z.B. Gassinger et al. 2022) und zu denken und ggf. neue Perspektiven für das pädagogische Handlungsfeld im Kontext von Heterogenität aufzeigen (z. B. Baumann, 2023).

 

Die Tagung richtet sich an Forscher:innen, an junge Wissenschaftler:innen, an (angehende) Lehrpersonen, an  Studierende des Lehramts aller Schularten, an Multiplikator:innen der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen sowie an Expert:innen zur Thematik. Ziel ist die interdisziplinäre Diskussion zum oben aufgezeigten Diskurs um das komplexe Themenfeld von Heterogenität im Bildungssystem – multiperspektivisch auf Mikro-, Meso- und Makroebene.

 

Sollten Sie weitere Fragen haben, melden Sie sich gerne jederzeit bei Dr. phil. Simone Baumann via 

  simone.baumann@ph-tirol.ac.at.

 

 

 

 

Literatur

 

Baddeley, A. D. (2010). Working memory. Current Biology, 20(4), R136-40.


Baumann, S. (2023). Reflexionskompetenz im Kontext von Aufgabenorientierung und Heterogenität.
Eine Design-based-Research-Studie mit angehenden Lehrpersonen. BildungsWelten Grundschule - Heterogenität gestalten, Band 2. Waxmann.


Budde, J. (2017). Heterogenität: Entstehung, Begriff, Abgrenzung. In T. Bohl, J. Budde, & M. Rieger-Ladich (Hrsg.), UTB Schulpädagogik: Vol. 4755. Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht: Grundlagentheoretische Beiträge, empirische Befunde und didaktische Reflexionen (S. 13–26). Klinkhardt.


Dewaele, J. M., & Furnham, A. (1999). Extraversion: The unloved variable in applied linguistic research. Language Learning, 43(3), 509–544.


Eckhart, M. (2009). Homogenität und Heterogenität in Schulklassen – systemtheoretische Überlegungen und notwendige Entmythologisierung. In H.-U. Gurnder & A. Gut (Hrsg.), Zum Umgang mit Heterogenität in der Schule (S. 24-47). Schneider.


Faulstich-Wieland, H. (2011). Einleitung. In H. Faulstich-Wieland (Ed.), Professionswissen für Lehrerinnen und Lehrer, Grunder, H.: Vol. 3. Umgang mit Heterogenität und Differenz (S.9–20). Schneider.


Gardner, R. C., & MacIntyre, P. D. (1993). On the Measurement of Affective Variables in Second Language Learning. Language Learning, 43(2), 157–194.


Glasersfeld von, E. (1995). Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität. In H. Gumin & H. Meier (Hrsg.), Einführung in den Konstruktivismus (S. 9-40). Piper.


Grassinger, R., Hodaie, N., Immerfall, S., Kürzinger, A., Schnebel, S. (Hrsg.) (2022). Heterogenität in Grundschulen. Mehrperspektivische Zugänge. BildungsWelten Grundschule - Heterogenität gestalten, Band 1. Waxmann.


Guiora, A. Z., Paluszny, M., Beit-Hallahmi, B., Catford, J. C., Cooley, R. E., & Dull, C. Y. (1975). Language and Person: Studies in Language Behavior. Language Learning, 25(1), 43–61.


Kersten, K. (2021). The Proximity of Stimulation Hypothesis: Investigating the interplay of social and instructional variables with the cognitive-linguistic skills of young L2 learners. In K. Kersten & A. Winsler (Hrsg.), Understanding variability in second language acquisition, bilingualism, and cognition: A multi-layered perspective (preprint). Routledge.


Kraay, T. de. (2016). Differentiation to improve the articulation between levels: In the teaching of English in primary and secondary education in the Netherlands. Dissertation.


Krell, G., Riedmüller, B., Sieben B., & Vinz, D. (2007). Diversity Studies. Grundlagen und disziplinäre Ansätze. Campus Verlag.


Lang-Wojtasik, G. & Schieferdecker, R. (2016). Von der Inklusion zur Heterogenität und wieder zurück. Grundlegende Begriffe und Zusammenhänge mit schultheoretischem Anspruch. In G. Lang-Wojtasik, K. Kansteiner & J. Stratmann (Hrsg.), Gemeinschaftsschule als pädagogische und gesellschaftliche Herausforderung (S. 71-82). Waxmann.


Mayr, J. (2015). Zwischen Vielfalt und Kompetenz. Überlegungen zum konstruktiven Umgang mit der Heterogenität von Lehramtsstudierenden und Lehrkräften. In C. Fischer, M. Veber, C. Fischer-Ontrup & R. Buschmann (Hrsg.), Umgang mit Vielfalt. Aufgaben und Herausforderungen für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S .55-75). Waxmann.


Ortega, L., & Han, Z. (Eds.). (2017). Complexity theory and language development. Benjamins.


Prengel, A. (1995). Pädagogik der Vielfalt (2. Aufl.). Springer.


Prengel, A. (2006). Pädagogik der Vielfalt: Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik (3. Auflage). Springer.


Rabenstein, K. (2019). Inklusion und Differenz – zum Gebrauch sozialwissenschaftlicher Begriffe in der qualitativen Unterrichtsforschung zu Unterricht im Anspruch von Inklusion. In E. von Stechow, P. Hackstein, M. Esefeld & B. Klocke (Hrsg.), Inklusion im Spannungsfeld von Normalität und Diversität (S. 21-31). Klinkhardt.


Riegel, C. (2016). Bildung – Intersektionalität – Othering. Othering.


Rieger-Ladich, M. (2017). Ordnungen stiften, Differenzen markieren. Machttheoretische Überlegungen zur Rede von Heterogenität. In T. Bohl, J. Budde, & M. Rieger-Ladich (Hrsg.), UTB Schulpädagogik: Vol. 4755. Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht: Grundlagentheoretische Beiträge, empirische Befunde und didaktische Reflexionen (S. 27–42). Klinkhardt.


Schür, S. (2013). Umgang mit Vielfalt Integrative und Inklusive Pädagogik, Interkulturelle Pädagogik und Diversity Management im Vergleich. Klinkhardt.


Sheridan, M. A., Sarsour, K., Jutte, D., D'Esposito, M., & Boyce, W. T. (2012). The impact of social disparity on prefrontal function in childhood. PloS One, 7(4), e35744.


Trautmann, M., & Wischer, B. (2011). Heterogenität in der Schule: Eine kritische Einführung (1. Aufl.). Springer.


Wischer, B. (2007). Heterogenität als komplexe Anforderung an das Lehrerhandeln. In S. Boller, E. Rosowski & Stroot, T. (Hrsg.), Heterogenität in Schule und Unterricht (S. 32-41). Beltz.


Wischer, B. (2013). Konstruktionsbedingungen von Heterogenität im Kontext organisierter Lernprozesse: Eine schul- und organisationstheoretische Problemskizze. In J. Budde (Hrsg.), Unscharfe Einsätze: (Re-) Produktion von Heterogenität im schulischen Feld (S. 99–126). Springer.

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