Berufsorientierung an der Praxisvolksschule der PH Tirol
Elf Burschen im Alter von 13 bis 15 Jahren besuchten am Donnerstag, den 16.11.2022, vier verschiedene Klassen der Praxisvolksschule, um sich ein Bild vom Beruf des Volksschullehrers zu machen. Nach den Hospitationen zeigte sich in den Nachbesprechungen mit den Jugendlichen eine klarere Vorstellung vom Lehrberuf und teilweise durchaus Interesse. Die Aktion fand im Rahmen des Boys‘ Day statt, der seit 2010 auch in Tirol veranstaltet wird.
Die Hospitation
Samuel, Vito und Leo sitzen in der Klasse MSTC von Walter Vigl und Kerstin Wirtenberger und beobachten den Unterricht. Sie sind im Rahmen des Boys‘ Day an die Praxisvolksschule der PH Tirol gekommen. Alle drei besuchen die vierte Klasse eines Innsbrucker Gymnasiums und nehmen an dem Angebot zur Berufsorientierung teil. Ihnen fällt auf, dass die Kinder in der Klasse selbständig arbeiten, „Sie kennen die Regeln, der Lehrer muss selten kommen. Ich bewundere das, wie die Kinder immer selbständig ihre Arbeitssachen holen und dann selber weiterarbeiten. Das gefällt mir gut“, erzählt Vito in der Nachbesprechung. Auch Samuel und Leo stimmen bei. „Eigentlich hätte ich gedacht, der Lehrer steht draußen, unterrichtet frontal und die Kinder hören zu“, setzt Vito fort. In der Mehrstufenklasse wird nach Montessori unterrichtet. Aber auch in den anderen Klassen der Praxisvolksschule gibt es weniger Frontalunterricht und mehr offenen Unterricht, das sind heute übliche Unterrichtsprinzipien.
Berufswünsche: Lehrer, Fußballprofi, Automechaniker
Lehrer zu werden ist für die drei Burschen nicht uninteressant, v.a. Samuel könnte sich den Lehrberuf gut vorstellen: „Als Lehrperson würde mir der Unterricht in einem Gymnasium, oder auch in der Volksschule gefallen. Mir gefällt es gut, den Kindern Dinge zu erklären, auch ein vertieftes Niveau würde mich interessieren, daher vielleicht eher ein Gymnasium“, erzählt Samuel. Auch für Vito kommt der Lehrberuf in die engere Auswahl, sofern er nicht Fußballprofi oder Automechaniker wird: „Zu erklären, Aufgaben zu geben, ganz einfach immer das Niveau zu steigern und zu schauen, ob das auch verstanden wird, das macht mir großen Spaß! Allerdings habe ich gehört, dass die Bezahlung nicht so toll ist. Trotzdem könnte ich mir den Beruf des Volksschullehrers oder auch überhaupt des Lehrers vorstellen“, so Vito. Das Gehalt wurde in den neuen Dienstverträgen aufgestockt und unterscheidet sich nicht mehr von jenem der Sekundarstufenlehrer. „Das Einstiegsgehalt ist durchaus attraktiv. Und es gibt auch andere Vorteile, wie z.B. Jobsicherheit, viel Selbstverantwortung und teilweise flexible Arbeitszeiten”, so Lehrer Walter Vigl. Leo möchte Mechatronik an der HTL erlernen und einen entsprechenden Beruf ausüben, Volksschullehrer findet er aber auch gut.
Der Lehrberuf als abwechslungsreiches Erlebnis
Lehrer Walter Vigl unterrichtet seit ca. zehn Jahren an der Praxisvolksschule, außerdem ist er Administrator, Direktorin-Stellvertreter und zuständig für das MINT-Gütesiegel. „Die Rolle des Lehrers ist eben vielfältig, es ist weit mehr als ausschließlich in der Klasse zu stehen“, so Walter Vigl. Er freut sich über das Interesse der insgesamt elf Burschen, und präsentiert die Schule aus der MINT-Perspektive: „Wir haben 60 ipads, Active-Boards in allen Klassen, Bee Bots, Micro Bits – also programmierbare Platinen - und Lego-Wedo-Baukästen in der Schule“, erzählt der engagierte Lehrer.
„Endlich ist ein Mann an der Schule“
Walter Vigl berichtet den Burschen in der Nachbesprechung von seiner abenteuerlichen Lehrerkarriere: drei Jahre an einer Schule in Vorarlberg, drei Jahre Lehrer in Afrika, drei Jahre Direktor an einer kleinen Schule im Ötztal, sieben Jahre Lehrer an einer Schule in Imst mit der ersten Montessori-Klasse im öffentlichen Schulsystem in Tirol, die Walter Vigl aufbauen konnte, ein Jahr Sabbatical, währenddessen er seine Kinder auf Reisen in Südostasien und im südlichen Afrika selbst unterrichtet hatte. „Wenn man als Mann Volksschullehrer wird, weiß man vorab, dass 90 Prozent seiner Kolleg:innen weiblich sind. Ich habe von meinen Kolleginnen oft gehört: „Endlich ist ein Mann an der Schule!“ – man wird begeistert und wohlwollend empfangen, wenn man als Mann in einer Schule, v.a. einer Volksschule, zu arbeiten beginnt“, so Walter Vigl.
Die zweitwichtigste Person im Leben eines Kindes
„Für mich war der Beruf immer sehr spannend und abwechslungsreich. Es muss einem bewusst sein, dass man nach den Eltern die Rolle der zweitwichtigsten Person im Leben der Kinder einnimmt. Die Kinder in einer der wichtigsten Entwicklungsphasen begleiten zu dürfen und sie gedeihen zu sehen, bereichert ungemein, macht einem aber auch die Verantwortung bewusst, die man als Lehrperson hat“, so Lehrer Walter Vigl.
Direktorin der Praxisvolksschule Caroline Abfalter weiß, wie wichtig und begehrt männliche Volksschullehrer an Schulen sind: „Grundschulkinder benötigen männliche Vorbilder, Erziehungs- und Lernbegleiter für ihre Entwicklung. Auch innerhalb des Lehrkörpers erfahren alle durch männliche und weibliche Anteile hohe Wertsteigerung. Ein Anreiz für die Jugendlichen ist vielleicht, dass sich Ausbildungsdauer und Gehalt von Primar- und Sekundarpädagog:innen nicht mehr unterscheiden. Der Beruf des Volksschullehrers ist vielfältig, relevant und wertvoll – ich denke am Boys Day wurde das für unsere Besucher auch deutlich und somit kann dieser Aktionstag helfen, dass in Zukunft mehr Männer für diese wichtige Arbeit gewonnen werden”, so Direktorin Caroline Abfalter.
Rektorin Regine Mathies begrüßt die Idee des Boys‘ Day. An der Pädagogischen Hochschule Tirol freut man sich über männliche Studierende: „Als Rektorin der PHT unterstütze ich den Berufsorientierungstag “Boys` Day” für männliche Jugendliche mit großer Überzeugung. Gerade im Berufsfeld der Grundschulpädagogik sind Männer signifikant unterrepräsentiert, stellen aber einen enormen Gewinn für das Schulsystem dar. Dieser Tag bietet für die Interessierten eine einzigartige Gelegenheit sich seiner eigenen Identität zu stellen, Stereotypen zu hinterfragen und vor allem durch das unmittelbare “Dabeisein” die Vielfalt und Bedeutung des Berufsfeldes “hautnah” kennenzulernen. Ich bin vom Erkenntnisgewinn für die Teilnehmer überzeugt”, so PH-Tirol-Rektorin Regine Mathies.
Julien Bartl, Regionalverantwortlicher des Boys‘ Day Tirol: “Beim Boys’Day geht es besonders auch darum, den Burschen ihre eigenen sozialen und erzieherischen Fähigkeiten bewusst zu machen. Sie sollen merken: „Ich kann das, ich traue mir das zu!“ Unabhängig davon, ob die Schüler im pädagogischen Arbeitsfeld landen werden, soll ein Verständnis für die Arbeit und damit verbunden auch eine Wertschätzung des Berufs entstehen.” Julien Bartl und Albert Witting arbeiten im Verein Mannsbilder, dessen Männerberatungsstelle den Boys‘ Day in Tirol seit Projektbeginn im Jahr 2008 umsetzt. „Das besonders Wertvolle am Boys‘ Day an der PHT: Die Burschen durften nicht nur den Unterricht mitverfolgen, sondern konnten auch hospitierende Volkschullehrer*innen in Ausbildung erleben. Das gemeinsame Reflektieren des Unterrichts, mit Praxis-Lehrerinnen, Hospitantinnen und einem Hospitanten zeigte beides zugleich: Die berufliche Praxis und das Erlernen des Berufs“, berichtet Albert Witting nach seiner Teilnahme an der Nachbesprechung des Unterrichtvormittags in einer der vier für den Boys Day geöffneten Volksschulklassen.